Projektstart ohne Klarheit – ein häufiger Fehler
Oftmals wird in der Initialisierungs- und Planungsphase von IT-Projekten die intensive Auseinandersetzung mit dem Projektinhalt (Scope) stark vernachlässigt. Dabei ist gerade diese frühe Phase entscheidend für den späteren Projekterfolg.
Ohne ein klares Verständnis der Nutzergruppen und ihrer tatsächlichen Anforderungen besteht die Gefahr, dass eine technisch saubere Lösung auf die falschen Bedürfnisse entwickelt wird. Das hat zur Folge, dass die neue Lösung nicht den erwarteten Nutzen bringt oder im schlimmsten Fall von den Anwendern abgelehnt wird.
Trotzdem wird dieser zentrale Analyseschritt in der Praxis häufig abgekürzt. Eine Begründung, die wir oft hören: «Wir haben keine Zeit. Das neue System muss das Gleiche können wie die bisherige Lösung.»
Warum «Das Gleiche wie bisher» keine Anforderung ist
Moderne Applikationsentwicklung beginnt nicht mit Code, sondern mit dem Verstehen der Nutzer. Dafür stehen heute bewährte Methoden und klare Modelle zur Verfügung. Eines davon ist der «Double Diamond» aus dem Design Thinking. Er unterscheidet bewusst zwischen zwei Phasen: dem Problemraum und dem Lösungsraum.
Zu Beginn eines Projekts steht der Problemraum im Fokus: Es geht darum, die Herausforderungen und Bedürfnisse der verschiedenen Benutzergruppen zu verstehen und sauber zu definieren. Erst wenn diese Grundlagen klar sind, wird im Lösungsraum an konkreten Umsetzungsideen gearbeitet.
Wird dieser Ablauf jedoch übersprungen – zum Beispiel mit der Vorgabe „Das neue System soll einfach das Gleiche tun wie die aktuelle Lösung“ – dann wird das Projekt von Anfang an im Lösungsraum gestartet. Dadurch bleiben wertvolle Erkenntnisse auf der Strecke. Was dabei oft übersehen wird:
- Veraltete Funktionen, die niemand mehr braucht, werden übernommen – und machen das System unnötig komplex und teuer.
- Neue Anforderungen von Nutzerinnen und Nutzern oder dem Markt bleiben unentdeckt.
- Technologische Entwicklungen werden nicht genutzt, obwohl sie heute umsetzbar wären.
Eine gute Anforderungsanalyse beginnt deshalb immer mit dem «Was» und «Warum» – nicht mit dem «Wie». Genau hier setzt eine professionelle IT-Beratung an: Sie hilft, diese Grundlagen sauber herauszuarbeiten.
Problemraum – Wie aus Bedürfnissen klare Anforderungen werden
Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, beginnt eine fundierte Anforderungsanalyse mit dem Verständnis der Bedürfnisse, aus denen sich die Anforderungen ableiten lassen. Eine Anforderung beschreibt dabei eine Eigenschaft oder Fähigkeit, die eine Lösung erfüllen muss, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten von Anforderungen:
- Funktionale Anforderungen: Sie beschreiben, was das System konkret tun soll – zum Beispiel: «Der Nutzer kann ein PDF exportieren.»
- Nicht-funktionale Anforderungen: Sie legen fest, in welcher Qualität oder unter welchen Bedingungen das System funktioniert – zum Beispiel: «Der Export erfolgt in unter 5 Sekunden»
Um solche Anforderungen systematisch und nachvollziehbar zu erfassen, orientieren wir uns häufig am Vorgehensmodell des IREB (International Requirements Engineering Board). Dieses gliedert die Anforderungsanalyse in vier zentrale Schritte: 1. Ermitteln, 2. Dokumentieren, 3. Prüfen, 4. Verwalten.
Diese strukturierte Vorgehensweise sorgt dafür, dass Anforderungen nicht nur vollständig erhoben, sondern auch sauber dokumentiert, abgestimmt und über den gesamten Projektverlauf hinweg gezielt gesteuert werden können.
1. Ermitteln – Anforderungen systematisch erfassen
Der erste Schritt in der Anforderungsanalyse besteht darin, die tatsächlichen Bedürfnisse der verschiedenen Anspruchsgruppen zu identifizieren – in der Regel also der Benutzer, aber auch anderer Stakeholder wie Projektleitung, Support oder Compliance.
Je nach Kontext und Zielgruppe kommen dafür verschiedene Aufnahmemethoden zum Einsatz. In der Praxis haben sich die folgenden besonders bewährt:
Form | Beschreibung | Einsatz bei |
---|---|---|
Interviews | Einzel- oder Zweierinterviews mit Vertreter einer Anspruchsgruppe | Detaillierte Erhebung von Aufgaben und Abläufen |
Workshops | Workshops mit Benutzern aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen | Erarbeitung eines Gesamtüberblicks und Abstimmung |
Beobachtungen | Beobachtung vom Arbeitsablauf direkt an einem System | Verständnis von Prozessabläufen und Nutzerverhalten |
Analysen / Recherchen | Analyse vorhandener Unterlagen, Daten und Reports | Vorbereitung / Prüfung von Anforderungen |
2. Dokumentieren – Anforderungen verständlich festhalten
In diesem Schritt werden die gesammelten Erkenntnisse aus dem ersten Schritt schriftlich festgehalten. Durch eine klare und nachvollziehbare Dokumentation werden die Anforderungen im Projektverlauf überhaupt erst nutzbar. Wir achten dabei auf folgende Aspekte:
- Strukturierung, Priorisierung & Mengengerüst: Anforderungen müssen sinnvoll priorisiert (z.B. nach Nutzen), klar strukturiert (z.B. nach Modulen / Prozessen) und quantitativ erfasst werden.
- Lösungsneutralität: Anforderungen sollten zunächst unabhängig von technischen Lösungen beschrieben werden. Es wird nur formuliert, was gebraucht wird – nicht, wie es umgesetzt werden soll.
- Nachvollziehbarkeit: Jede Anforderung sollte mit ihrer Quelle verknüpft sein – z. einem Interview, einem Workshop oder einem Dokument. Das ermöglicht Rückfragen zu klären und schafft Transparenz.
- Adäquate Form: Die Anforderungen sollten in einer Form dokumentiert werden, die für alle Projektbeteiligten klar, eindeutig und lesbar ist – etwa in natürlicher Sprache, mit Hilfe von strukturierten Templates, Modellen oder User Stories.
3. Prüfen – Anforderungen hinterfragen und schärfen
Sind die Anforderungen dokumentiert, folgt der nächste wichtige Schritt: die gemeinsame Überprüfung mit den relevanten Stakeholdern. Ziel ist es, die Anforderungen zu validieren, Unklarheiten zu beseitigen und gegebenenfalls zu reduzieren oder zu vereinfachen. Dabei stehen folgende Fragen im Zentrum:
- Was ist wirklich notwendig?
Nicht jede genannte Anforderung muss zwingend umgesetzt werden. Durch gezieltes Reduzieren oder Priorisieren lässt sich die Lösung vereinfachen und unnötige Komplexität vermeiden. - Ist alles vollständig?
Wurden alle relevanten Perspektiven berücksichtigt – fachlich, technisch, rechtlich und organisatorisch? Gerade der Abgleich mit verschiedenen Rollen bringt häufig wertvolle Ergänzungen und neue Blickwinkel. - Gibt es einfachere Alternativen?
Nicht alles muss zwingend durch das System abgebildet werden. Für seltene Aufgaben – z. B. jährliche Sonderprozesse – kann auch eine manuelle Lösung ausreichend und wirtschaftlich sinnvoll sein.
Aufgepasst bei Formulierungen mit «Immer» und «Nie». Diese sind häufig zu absolut – in der Praxis gibt es fast immer Ausnahmen. Solche Aussagen sollten gezielt hinterfragt und wenn nötig relativiert werden.
4. Verwalten – Anforderungen aktiv steuern
Anforderungen sind selten statisch. Im Verlauf eines Projekts ändern sich Rahmenbedingungen, Prioritäten und Erkenntnisse – und damit oft auch die Anforderungen selbst. Umso wichtiger ist es, diese Änderungen nicht nur zu erfassen, sondern gezielt zu steuern. Dabei kommt es besonders auf folgende Punkte an:
- Einordnung im Projektkontext
Eine neue oder angepasste Anforderung betrifft selten nur einen Teilbereich. Jede Änderung muss im Zusammenhang mit Projektzielen, Zeitplanung, Budget und bestehenden Anforderungen betrachtet und bewertet werden. - Transparente Kommunikation
Änderungen an Anforderungen betreffen viele Beteiligte – vom Entwickler über den Tester bis hin zu weiteren Nutzergruppen. Eine strukturierte IT-Projektleitung stellt sicher, dass diese Änderungen systematisch dokumentiert und klar kommuniziert werden, damit alle informiert und auf dem gleichen Stand sind. - Nachvollziehbarkeit
Jede Änderung muss eindeutig dokumentiert werden – mit Grund, Quelle und Auswirkungen. Nur so bleiben Entscheidungen im Nachhinein nachvollziehbar und überprüfbar.
Effektives Anforderungsmanagement bedeutet also nicht nur, Anforderungen zu verwalten – sondern sie aktiv zu begleiten, zu bewerten und in den Projektrahmen einzuordnen.

Gerne unterstützen wir Sie dabei, Ihr Projekt von Anfang an auf Erfolgskurs zu bringen – mit klaren Anforderungen und methodischer Stärke.
Fazit: Der Projekterfolg beginnt mit den Anforderungen
In diesem Beitrag haben wir gezeigt, warum eine durchdachte Anforderungsanalyse ein entscheidender Erfolgsfaktor in IT-Projekten ist und wie sie sich in der Praxis wirksam umsetzen lässt. Die wichtigsten Erkenntnisse haben wir hier nochmals übersichtlich für Sie zusammengefasst:
- Lösungsneutral denken
Nicht mit der technischen Umsetzung starten, sondern zuerst klären, was wirklich gebraucht wird – und warum. Erst danach geht es darum, wie die Lösung aussehen soll und wie sie sich in die Applikationslandschaft der IT-Strategie einfügt. - Methodisch vorgehen
Werkzeuge wie Interviews, Workshops, Beobachtungen oder Dokumentenanalysen gezielt einsetzen, um ein umfassendes Bild der Anforderungen zu gewinnen. - Dokumentation mit Augenmass
Anforderungen müssen klar, strukturiert und nachvollziehbar festgehalten werden – aber ohne unnötige Bürokratie. So viel wie nötig, so wenig wie möglich. - Reduzieren & priorisieren
Nicht jede Anforderung muss umgesetzt werden. Eine gezielte Reduktion und Priorisierung vereinfacht das System, senkt Komplexität und beschleunigt die Umsetzung. - Kosten-Nutzen-Verhältnis beachten
Anforderungen sollten immer auf ihren tatsächlichen Nutzen geprüft werden – insbesondere bei aufwändigen oder selten genutzten Funktionen. Aufwand und Mehrwert müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen.
XWare – Ihr Partner für erfolgreiche IT-Projekte
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Durch eine klare und lösungsneutrale Anforderungsanalyse schaffen wir die Basis für fundierte Entscheidungen, effiziente Umsetzung und nachhaltigen Projekterfolg.